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Auf dem Hof
Hinter dem Haus in der Wismarschen Straße 22 gab es einen Hinterhof. Das Haus war ein Eckhaus mit der Vorderfront zur Wismarschen Straße und mit einem Seitenteil zum Kleinen Vogelsang. Von dort gab es auch einen Eingang zum Haus über den Hof. Das war zu Anfang noch ein großes Tor, wahrscheinlich passten hier sogar Pferdefuhrwerke durch. Neben dem Tor gab es eine Waschküche. Ich kann mich noch erinnern, dass hier wahrscheinlich einmal im Monat große Wäsche gemacht wurde. Das ging schon früh morgens los. Unsere Wäsche machte meine Mutter mit meiner Großmutter gemeinsam. Ich glaube, es kam auch eine Waschfrau. Meine Mutter ist dann schon früh nach unten gegangen, hat den Waschkessel angeheizt und alles vorbereitet. Im Winter kam sie dann morgens nach oben und hatte immer einen Kneifer vom kalten Wasser und wärmte sich die Hände an dem warmen Kachelofen, den mein Vater schon geheizt hatte.
Über der Waschküche und der Toreinfahrt gab es eine kleine Wohnung, zu der eine kleine schmale Stiege hoch ging. In der Wohnung wohnte ein älteres Ehepaar. Er war Beamter und ging jeden Tag mit einer Aktentasche zur Arbeit. Die Beiden habe ich immer als sehr klein in Erinnerung, denn ich war einmal bei ihnen und sah, wie niedrig die Deckenhöhe der Wohnung war. Ich glaube die Frau ging auch krumm.
Mit der Wohnung über dem Tor ergab sich eine überdachte Toreinfahrt, die vom Hof gesehen links durch die große Waschküche und rechts durch den Aufgang zur Wohnung begrenzt wurde. Der Boden war mit Katzenkopfsteinen gepflastert. An die kann ich mich noch genau erinnern, die waren oben rund und im Winter sehr rutschig. Ich weiß nicht genau, ob es zum Hof auch ein Tor gab oder ob es offen war.
Später baute mein Vater in der Toreinfahrt seine PKW-Garage. Das muss nach 1963 gewesen sein, denn 1963 bin ich mit meinen Eltern im Urlaub in Schwarzmühle gewesen. Da gab es noch kein Auto. Mein Bruder war damals 2 Jahre alt. Ich bin mir sicher, dass er nicht mit war. Er war sicher in Schönberg bei unserer Großmutter dort. Nach dem Garagenbau blieb noch ein schmaler Gang zum Vogelsang auf der rechten Seite mit dem Aufgang zur Wohnung. Das große Tor wurde ersetzt durch eine Haustür und ein Garagentor. Die Garage ging nicht ganz bis zum Vogelsang durch. Davor blieb ein Zugang zur Waschküche. Von diesem Zugang gab es links und rechts 2 Tore. Wenn man mit dem Auto aus der Garage fahren wollte, musste man so immer 2 Tore öffnen. Das zum Vogelsang war ein zweiflügeliges Schiebetor. Von der Waschküche Richtung Hof ging auch noch eine Tür zu einem Schuppen ab.
Die Wohnung über der Garage wurde dann 1974 durch Hans-Jürgen Papstein, dem späteren Ehemann von Bärbel, ausgebaut. Sie sind dort 1975 eingezogen. Mit diesem Ausbau gab es auch Veränderungen im Haupthaus.
Auf dem Hof stand ein Apfelbaum und es gab einen Weinstock und einen kleinen Garten. Dort war auch eine Veranda. Ein kleines Paradies eben. Diese Sachen mussten dann später kommerziellen Interessen weichen. Der Hof wurde asphaltiert. Die Veranda wurde massiv ausgebaut. Es entstanden Schuppen und Anbauten, zwischenzeitlich ein Hühner- und Taubenstall. Die Idylle musste einer zweckentsprechenden Nutzung weichen, wie es ja so oft der Fall war.
Ich kann mich noch an die Reste dieses kleinen Paradieses erinnern. Die Veranda war schon etwas verfallen. Ein idealer Spielplatz für uns Kinder. Wir haben dort Piratenschiff gespielt oder Mutter, Vater und Kind oder Schule. In unserem Haus gab es damals eine Familie mit 3 Töchtern, die im fast gleichen Alter, wie mein Bruder und ich waren. Wir haben uns sehr gut verstanden. Die folgenden Fotos sind Anfang der 50ger Jahre auf diesem Hof entstanden.
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Auf diesen Bildern ist Bärbel mit ihren Freundinnen zu sehen. Auf dem Bild rechts stehen in der 2. Reihe v.l.n.r. meine Großmutter Elisabeth, Tante Christa und eine Freundin, vielleicht von meiner Großmutter.
An dieser Stelle lag auch zu meiner Kindheit ein Holzstapel. Allerdings waren die Stämme dicker und zu Brettern geschnitten. Abgedeckt war der Holzstapel mit Teerpappe. Das roch dann sehr gut, wenn es heiß war und der Teer zu schmelzen begann. Zum Entsetzen meiner Mutter blieben auch oft Teerreste an meiner Lederhose kleben.
Man sieht, dass auch damals schon Tiere auf dem Hof gelebt haben. Das waren Kaninchen und Hühner. Die Kaninchen blieben nicht, aber mein Vater war dann irgendwann Rassegeflügelzüchter. Das waren dann Hühner und Tauben. Es waren wunderschöne Hühner – Italiener -. Ich kann mich erinnern, dass ich öfter mit dem Ausmisten der Ställe beauftragt wurde. Und wie alles was unser Vater gemacht hat, er war erfolgreich und hat viele Preise gewonnen.
Einmal, es muss im Januar gewesen sein, da zogen mein Vater und ich mit einem Schlitten zur Göring Schule, heute das Gymnasium. Es war bitterkalt und schneite. In der Nähe gab es eine Reithalle. Dort war die Rassegeflügelausstellung. Wir brachten die armen Hühner dort hin. Die Hühner und Hähne waren aber gut geschützt im Gegensatz zu uns. Wir froren uns die Nase und Ohren ab. Ich habe dann meinen Vater wochenlang genervt, ob ich mir nicht vielleicht die Nase oder Ohren abgefroren hätte aber für ihn waren das Lappalien, er war in seinem Leben Härten gewohnt.
Die folgenden Fotos zeigen dann auch meinen Vater, der Anfang der 50ger Jahre den väterlichen Betrieb übernehmen musste. Es zeichnete sich ab, dass mein Großvater an einer schweren Krankheit litt und um den väterlichen Betrieb zu retten, musste er die Abiturausbildung abbrechen und erlernte ab 1948 den Beruf des Uhrmachers im väterlichen Betrieb. Später im Alter gab er mir zu verstehen, dass er vielleicht auch gerne studiert hätte, aber die Notwendigkeiten waren eben anders gesetzt. Meinem Bruder und mir überließ er die Wahl einer akademischen Ausbildung. Mein Bruder hat dann aber letztendlich doch den väterlichen Betrieb übernommen. Ich habe mich für die akademische Ausbildung entschieden. Damit hatte ich das vielleicht einfacher als mein Bruder.
Die Silberhochzeit 1952:
Die Großeltern feierten die Silberhochzeit am 28. Juni 1952. Dazu habe ich auch wieder ein Gruppenfoto gefunden. Diese Aufnahme entstand ebenfalls auf dem Hof.
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Obere Reihe: Heinz Bauers, Grete & Walter Kelling (Obsthändler), Alfred & Bella Christoph (Kaufmann), Ehepaar Köpke (Fischer),. N.N., Leibinger aus Wismar (Uhrmacher)
Mittlere Reihe: Onkel Paul (aus Wutzetz), Clara & Karl Carsten (Sattler –Nachbarn), Christa Schön, Hans-Dieter Schön, N.N., N.N., N.N., N.N., Kurt Bauers
Vordere Reihe: Tante Herta (aus Wutzetz), Else & Wilhelm Bauers, Elisabeth & Walter Schön, Liese & Hans Böttcher, Ilse Bauers (geb. Prahl)
Vorne: Bärbel Schön
Hier finden wir also das legendäre Ehepaar aus Wutzetz wieder. Ein Teil der Verwandten aus Hagenow sind auch da. Es fehlen die Geschwister von Walter: Arthur, Franz, Bruno und Minna. Franz, Bruno und Minna lebten ja im Westen. Von den Ludwigslustern fehlte Liselotte, aber sie hatte da schon ihre eigene Familie und ein kleines Kind. Das Ehepaar Kelling ist mir auch noch bekannt. Grete Kelling besuchte meine Großmutter regelmäßig. Sie ist die Großmutter von Fritz Reimer, dem Frontsänger der Zauberflöte (Z II). Die Freundschaft ist entstanden als sie zuerst in der Bäckergasse wohnten. Dort wohnten die Kellings auch und auch das Bäckerehepaar Körner, nicht zu verwechseln mit den Körners von Cafe Körner. Alfred Christoph, auch Bubi genannt, war ein legendärer Kaufmann in Grevesmühlen. Bei ihm bekam man alles. Die Carstens waren gute Nachbarn in der Wismarschen Straße 22.
Von Carstens und Christophs Silberhochzeit habe ich auch Gruppenfotos gefunden.
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Die Silberhochzeit von Carstens. Hier finden wir Kellings (obere Reihe) und unsere Großeltern (rechts) wieder.
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Das Wohnzimmer
Gemeint ist hier das Wohnzimmer unserer Großeltern. Auch daran knüpfen sich viele Erinnerungen. Da gab es die „gemütliche Ecke“. Dort stand ein Radio mit einem grünen Auge. Zu Anfang gab es kein Fernsehen. In den beiden Sesseln vor dem Radio haben sie gesessen, unser Großeltern, und Radio gehört. Die Aufnahmen, die jetzt folgen sind von der Konfirmation von Bärbel, das war 1954.
Das ist die Ecke so wie ich sie auch in Erinnerung habe. Auf dem linken Bild die Großeltern Elisabeth und Walter mit der Konfirmandin. In der Mitte die Geschwister Christa, Bärbel und Hans-Dieter. Rechts Verwandte aus Hagenow und Ludwigslust. V.l.n.r. Hans Böttcher, Bärbel, Hans‘ Tochter Liselotte und Kurt Bauers.
Durch das Fenster im Hintergrund konnte man auf den Hinterhof sehen. Der Bücherschrank links war in die Wand eingearbeitet. Dort stand unter anderem auch ein altes Märchenbuch der Gebrüder Grimm mit Illustrationen. In diesem Buch habe ich viel geblättert als ich noch nicht lesen konnte und Großmutter hat daraus vorgelesen.
Als ich 2019 während einer schweren Lungenentzündung im Koma lag und danach wieder zu mir kam, hatte ich sehr intensive Träume, die fast schon real waren. Ein Traum geschah auch in dieser Ecke. Ich lag dort und konnte nicht aufstehen. Das mit dem Aufstehen war leider Realität. Ich musste jeden Tag vom Pflegedienst versorgt werden. Die Versorgung erfolgte durch das Fenster. Dafür gab es Gründe. Diese aufzuführen würde zu weit führen. Ich habe die Geschichten alle 2020 genau niedergeschrieben.
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Auf dem linken Bild sind noch mal die Gäste aus Hagenow und Ludwigslust zu sehen. V.l.n.r. Else Bauers, Hans Böttcher, Liselotte Böttcher, Elisabeth, Bärbel, Walter, Tante Lieschen (Frau von Hans) und Wilhelm Bauers. In der Mitte das Büfett links neben der großen Standuhr. Das ist jetzt rechts von der „gemütlichen Ecke“. Weiter nach rechts hinter dem Büfett kam dann die Tür zum Schlafzimmer der Großeltern. Die Standuhr hat unser Cousin Maik jetzt, das Büfett steht bei uns in unserem Esszimmer. Alles Erinnerungen an die alte Zeit. Auf dem rechten Bild: unser Vater und Kurt Görner, ein sehr guter Freund. Er wohnte im Haus als Mieter. Er ist damals nach Rostock gegangen und war dort beim Zoll ein ziemlich „großes Tier“. Zu den Geburtstagen meines Vaters ist er immer noch gekommen. Als er schon weit nach der Wende nicht mehr fahren konnte, hat ihn sein ehemaliger Fahrer gebracht. Er war dann auch beim Geburtstag dabei. Das waren noch Freundschaften, die über politische und idiologische Barrieren hinweg, bestanden.
Hier ist nun Tante Gottschalk, die gute Seele des Hauses. Ich kann mich erinnern, dass sie mir erzählt hat, dass sie aus der Nähe von Grimmen stammt. Ob es Grimmen war, weiß ich nicht mehr so genau, aber bestimmt kann ich mich erinnern, dass ihre Familie dort ein großes Ausflugslokal hatte. Sie zeigte mir Bilder von einer großen geschmückten Veranda mit großer Terrasse. Das war auch auf einer Postkarte zu sehen. Es ist einfach schade, dass man keinen mehr fragen kann. Sie hatte eine große Liebe, einen Verlobten, der dann im Krieg geblieben ist. Sie sagte immer danach wollte sie keinen Mann mehr. Aber ich glaube, sie war in meinen Großvater verliebt. Sie schwärmte von ihm und sagte oft zu mir, er hätte sich so auf seinen Enkel gefreut. Leider ist er 23 Tage vor meiner Geburt verstorben. Manchmal musste ich unten bei meiner Großmutter essen. Dann kochte sie und oft mit Zimt (Zimt und Zucker) und die Milch gab es nur warm und mit Haut „Damit sich de Jung denn Magen nich verküllt“. Das habe ich gehasst. Später als sie schon älter war und sie nicht mehr so oft bei uns war, musste ich ihr öfter Kuchen, Wein und andere Leckereien bringen. Sie wohnte in der Großen Seestraße schräg gegenüber von Schlachter Rump. Auf dem rechten Bild die Beleuchter für die Fotografie Kurt Bauer und Karl Carsten.
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Hinter den beiden Beleuchtern die Wand gegenüber der Wanduhr und dem Büfett. Rechts der Eingang zum Wohnzimmer neben dem Ofen. Das Ofenrohr ging über der Eingangstür in den Schornstein. An der Wand hinter Kurt Bauer und Karl Carsten die bescheidene Bildergalerie: Johannes, Sophie und Richard, die Kinder. Darunter ein Heizkörper besonderer Art mit einer eingebauten Ofenröhre zum Wärmen von Speisen. Die Zentralheizung mit Heizkörpern ging schon lange vor meiner Zeit nicht mehr. Sie muss nach 1945 aufgegeben worden sein. Hinter dem Heizkörper eine Fliesenecke (Fliesenspiegel) aus grünen Fliesen. Dort befand sich die Raucherecke, die aus einem Rauchertisch, einem Sessel, davor ein Schemel und einem Rauchverzehrer bestand. Ein Bild des Rauchertisches wird nachgeliefert. Der Tisch ist im Besitz meines Cousins Maik. Links neben Fliesenspiegel und Heizkörper gab es eine große Tür. Die ging in den Laden. Wohnen und Geschäft waren für meine Großeltern immer eins, sie waren nur durch diese Tür getrennt, die auch oft offen stand. Neben der Tür zum Laden links war da noch ein Sekretär mit Schreibklappe für private und geschäftliche Korrespondenz und Abrechnungen. Auch dieser Sekretär ist noch im Besitz der Familie. Ich kann mich noch erinnern, dass meine Großmutter den Schriftverkehr genauso behandelte wie ich heute. Es gab einen Ständer für noch zu bearbeitenden Schreiben und einen anderen für Erledigte, die noch abgeheftet werden mussten. Dann kam die Wand zum Kleinen Vogelsang. Dort gab es zwei große Fenster. Zwischen den beiden Fenstern stand eine Vitrine, die wir später noch sehen werden.
Für mich gab es damals ein großes Problem. Ich hatte einen guten Freund. Das war der Nachbarssohn des Fernsehmechanikers. Er war eigentlich fast genau so alt wie ich. Es waren Tage, aber er kam ein Jahr vor mir zur Schule. Ich habe dann oft bei meiner Großmutter auf dem Schemel gesessen und auf ihn gewartet, bis er aus der Schule kam. Ich kann mich so deutlich daran erinnern, wie ich auf die Standuhr starrte, ihr Ticken hörte und die Sekunden und Minuten zählte. Manchmal war das Warten auch umsonst, da er noch Schularbeiten machen musste und keine Zeit für mich hatte. Ich habe noch ein paar Aufnahmen gefunden, die Weihnachten/Silvester 1956 entstanden sind. Das war 7 Monate vor dem Tod des Großvaters.
Das linke Bild zeigt die beschriebene Wand zum Vogelsang mit den beiden Fenstern. Dazwischen die Vitrine und rechts der Sekretär. Der Weihnachtsbaum stand da immer. Bemerkenswert ist auch die Deckenbeleuchtung. Insgesamt 4 Lämpchen oben an der Decke in allen vier Ecken und links die Lampe über dem Esstisch, der normalerweise in der Mitte des Raumes stand. In der Mitte meine Großeltern und meine Eltern. Sieht der Walter nicht ein bisschen so aus wie Heinz Erhardt. Ich hätte ihn so gerne noch erlebt. Auf dem rechten Foto ist die ganze Familie noch komplett. Meine Mutter war auch schon dabei. Ich war ja auch schon unterwegs. Also v.l.n.r. stehend Marga, Dieter, Christa und Bärbel, v.l.n.r. sitzend Elisabeth, Walter und Tante Gottschalk (sie gehörte immer mit zur Familie).
Alles was ich hier beschrieben habe: die Erinnerungen, die Melanchonie, die Achtung vor der Vergangenheit und vor Denen, die das Alles für uns geschaffen haben …. Es gibt nur ein Lied von dem großen Liedermacher Reinhard Mey, das diese Gefühle und Emotionen so gut beschreibt und zusammenfasst, wie es kein anderes vermag:
„Viertel vor sieben“ von der CD Flaschenpost 1998: https://www.youtube.com/watch?v=hxhAs9bMaqk
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Freundschaften
Da gab es die Görners. Kurt Görner war auf einem Foto weiter oben. Er heiratete Lotti. Ich weiß eigentlich nicht viel über die Beiden. Sie wohnten im Haus und es gab einen sehr guten Kontakt zur Familie. Ich habe einige Fotos gefunden auch von der Hochzeitsfeier, die im Haus in ihrer Wohnung gefeiert wurde.
Links auf dem Foto Kurt und Lotti mit Christa
Auf einem gemeinsamen Spaziergang Dieter, Christa, Lotti und Kurt.